Wir sind im Mai 2010 einen Weg gefahren, der der spannendste Radweg war, den ich bisher überhaupt gefahren bin. Quer durch Deutschland. Immer entlang an der alten Deutsch-Deutschen Grenze. „Früher war hier Todesstreifen“ – unsere Dokumentation dazu lief damals im WDR – ist mittlerweile aber auf vielen Sendern der ARD wiederholt worden. Kann gut sein, dass das auch jetzt wieder passieren wird, anlässlich der 25 Jahre. Fest steht: wer mal was fahren will, was abseits der klassischen Radrouten und Touren ist – das ist euer Weg.
Ein paar Takte für alle die sich auf den Weg machen wollen, habe ich natürlich auch zusammengeschrieben…
Ich will gar nicht versuchen auch nur annähernd alles zu erzählen, was es auf dieser Reise an Geschichten gab. Aber ein paar wichtige Momente gab es schon auf dieser Tour, die ich kurz beschreiben möchte.
Zuerstmal der Gedanke praktisch einmal Quer durch Deutschland zu fahren. Als wir an der Ostsee losfuhren war uns – glaube ich – nur theoretisch klar, was für eine Tour das sein würde. Es ging durch den Harz, durch die Rhön, entlang an alten Kolonnenwegen mit Lochplatten, die die DDR-Grenzer benutzt hatten. Manchmal auch quer durch den Wald. Denn der Weg – und das ist das Thema dieser Reise – geht immer lang an der damaligen Grenze. Darum nannten wir die Dokumentation auch so: „Früher war hier Todesstreifen…“
Wir haben mehr gefilmt als fotografiert…
Unser primäres Ziel war, das zu tun, wofür uns der WDR losgeschickt hatte. Einen Film über diesen Radweg zu drehen. Darum gibt es von dieser Reise erstaunlich wenig Fotos. Die meisten nur so mit dem Handy gemacht. Die paar Fotos die wir gemacht haben, hatten eigentlich nur den Sinn für Facebook genutzt zu werden. Denn die Reise war auch Anlass und Start für unsere Facebookseite Ich-fahr-rad – und damit letztlich auch für diesen Rad-Blog…
Wir haben auf dieser Reise viele Menschen getroffen, aber am meisten beeindruckt hat uns Michael Cramer. Der Erfinder dieses Radweges. Er begleitete uns einige Tage auf der Tour, stand Rede und Antwort und machte uns klar, warum er das Projekt mal angefangen hat:
„Das was hier passiert ist, darf nicht vergessen werden. Aber die Leute haben versucht alles so schnell wie möglich vergessen zu machen. Haben alles abgebaut und verschwinden lassen. Darum führt der Weg entlang an den Stellen, wo man noch sehen kann, was hier war…“
Michael Cramer, Politiker und Radweg-Macher
Es stimmte, was er sagte. Es war ein erstaunliches Erlebnis. Fast als wäre nix gewesen…
Weg, weg, weg – die Vergangenheit muss weg
Es war wie eine nicht ausgesprochene Abmachung der Menschen, die entlang dieses 1.400 km Radweges lebten. Man tat sich meist sehr schwer zu erkennen, wo die Grenze war. Es wurde immer komplexer bei der Tour zu merken, ob man gerade auf der einen oder anderen Seite war. Die Geschichte löste sich sozusagen auf. Die ehemalige Grenze, die soviel Leid über so viele Menschen gebracht hatte, war manchmal nur daran zu erkennen, dass die Bäume in einer Waldschneise jünger waren, als die umgebenden. Das war vorher der Todesstreifen. Oder man kratzte an einer alten Tafel, die übermalt worden war und fand darunter (in einem Urlaubsgebiet der damaligen DDR) nicht nur die alten Wanderwege, sondern auch eingezeichnet die Zonen, die man nicht betreten durfte.
Und natürlich gab es die Gedenkstätten. Große und Kleine. Eine Kleine war beispielsweise Rüterberg. Dort gibt es ein winziges, vollgestopftes Museum, in dem uns der Bürgermeister erzählte wie das war, ein Dorf zu haben, dass nach beiden Seiten eingezäunt war. Warum und wieso erzählten wir natürlich im Film.
Aber es gab auch die Plätze, die man als Kind vielleicht noch selbst als Realität erlebt hatte und die nicht dem allgemeinen „weg machen“ zum Opfer fielen, sondern als Mahnmal oder Gedenkstätte stehen blieben. Zum Beispiel Grenzübergänge, die mein Kollege Udo Eling noch selbst – auf dem Weg nach Berlin – genutzt hatte und im Film erzählte, wie klein und angreifbar er sich gefühlt hatte, als sein Reisepass auf ein Band kam und dann die lange Reise zum Kontrolleur antrat.
Eine Reise- aber ohne Ende Geschichten
Als wir los fuhren, da ahnten wir noch nicht wie viele Geschichten auf uns warten sollten. Und so hatten wir bei der Planung der Route schon versucht vieles vorzubereiten. Heute wissen wir: es hätte gereicht einfach loszufahren. Ob es nun das Bauhaus-Hotel in Probstzella in der Nähe vom Rennsteig ist. Oder Boizenburg – ein Stadt mit einem Fliesenmuseum.
Oder der Mann, den wir aus Zufall trafen, weil wir beinahe in seinen Vorgarten gerummst wären, weil wir doch ein wenig schnell abgefahren waren. Wir kamen ins Gespräch, und bekommen mit, dass er noch Videomaterial aus der Zeit des Mauerfalls hatte und uns beschreiben konnte, wie das damals war. An dem Tag, als in seinen Ort im Westen, plötzlich ein Vielfaches der Bürger aus dem Osten kam und man spontan feierte… Oder der einzige den wir trafen, der ebenfalls diesen Weg fuhr. Peter. Der teilweise fast 200 Kilomenter Etappen machte, notfalls in Bahnhöfen übernachtet und dann wegen einer Panne aufgeben musste, sodass wir uns doch nicht mehr in Hof trafen, wo wir gemeinsam den Schluß der Tour feiern wollten. Oder, oder, oder…
Räder, Menschen, Abenteuer…
Und so fand ich auch das Motto dieser Seiten. „Räder, Menschen, Abenteuer.“ Das was man auf diesen 1.400 Kilometern im Großen erleben kann, das kann man auf jeder kleinen Radtour auch erleben. Wenn man Lust hat sich auf die Langsamkeit einer solchen Radtour einzulassen – und sich Zeit für die Menschen und Geschichten nimmt, die man trifft. Es muss also nicht gleich der Deutsch-Deutsche Radweg sein. Aber es muss die Lust am radeln sein, am schauen, erleben – und am Gespräch. Dann ist jede Tour ein Abenteuer. Auch wenn diese Tour bis heute ein ganz besonderer Höhepunkt war.
Nicht zuletzt wegen dem ganz besonderen Team, mit dem ich unterwegs war. Danke an die, mit denen ich diesen Weg machen durfte.